#024 Die Rückkehr der europäischen Aktien durch Reversion to the Mean?

In dieser Folge möchte ich euch eine kleine Studie vorstellen, die ich kürzlich gemacht habe. Dabei geht es um europäische Aktien und die Reversion to the Mean Rule, also der Regel, dass Renditen langfristig zu ihrem Mittelwert zurückkehren. Wenn du heute zum ersten Mal in meinen Podcast hörst, dann freut mich das sehr. Ich empfehle dir aber auch eine der ersten Folgen anzuhören, weil das heute eher technisch wird und für den Einstieg nicht so geeignet ist. Und für Einsteiger empfehle ich auch mein Basis-Webinar, das ich ihn der Folge 22 vorgestellt habe.

 

Zu unserem heutigen Thema

Egal mit wem ich spreche oder in welchen Nachrichtendienst ich auch schaue, ich finde kein einziges gutes Wort über europäische Aktien, im Moment. Wenn man was von europäischen Aktien hört, dann eigentlich nur dass der Ausblick schlecht ist und, dass wir keine Technologie Riesen haben, wie in den USA oder in China. Also kurz um – sie sind aktuell wohl die meist gehasst, oder zumindest die am meisten gemiedenen Aktien überhaupt. Und das ist natürlich nicht grundlos so, keine Frage. Die letzten Jahre sind absolut katastrophal gelaufen. Seit der Finanzkrise 2009 haben sich europäische Aktien im Wert zwar ver-3-facht, US-Aktien haben sich in diesem Zeitraum aber mehr als ver-6- facht. Der Hauptgrund dafür liegt mit Sicherheit in der unterschiedlichen Gewinnentwicklung der einzelnen Unternehmen. Die 500 Unternehmen aus dem amerikanischen S&P500 Index haben ihre operativen Gewinne pro Aktie seit 2009 um 170% steigern können, während gleichzeitig die Gewinne der Unternehmen aus dem Euro Stoxx 50 Index stagniert sind, also keinerlei Gewinnzuwachs erzielt haben. Und die ist natürlich zum Großteil den enormen Gewinnzuwächsen bei Big Tech geschuldet, also Amazon, Apple, Facebook, Google und Co., die ja auch nochmal insbesondere durch die Corona-Krise ihre Gewinn deutlich ausbauen konnten. Wenn ich jetzt zehn Leute fragen würde, ob sie glauben, dass diese Entwicklung der letzten 10 Jahre in den nächsten 10 Jahren auch so weitergeht,

dann glaube ich würden wahrscheinlich 9 von 10 sagen – Ja, das geht so weiter. Ich glaube das liegt daran, dass der Sentiment für Europa einfach derzeit übertrieben schlecht und für Tech wahrscheinlich übertrieben gut ist. Und das sieht man auch in den Portfolios. Europäische Aktien werden derzeit extrem untergewichtet oder sind teilweise gar nicht in den Portfolios vertreten. Ich denke das sollte man nicht machen, weil in europäischen Aktien durchaus auch Chancen stecken, wenn sie auch nicht so offensichtlich sind.

Eins ist natürlich ganz wichtig vorab zu sagen

Ich will auf keinen Fall zum Markttiming animieren. Ihr müsst wissen, dass ich ein strikter Gegner vom Markttiming bin, als von kurzfristigen und taktischen Allokationen im Depot und kurzfristigen Prognosen. Das wäre auch klar gegen die wissenschaftlichen Anlagegrundsätze sowas zu tun. Langfristig aber gibt es durchaus auch Alternativen zur üblichen Marktkapitalisierungsgewichtung. Wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis, wozu ich ja schon eine Folge gemacht habe oder die Reversion to the Mean, um die es heute gehen soll.

 

Was ist die Reversion to the Mean?

Im deutschen Sprachegebraucht nennt sich das „Regression zur Mitte“ und in einfachen Worten ausgedrückt bedeutet es,  wenn ein Ergebnis für längere Zeit deutlich über oder unter seinem langfristigen Durchschnittswert ist, dann ist es wahrscheinlich, dass der Wert früher oder später wieder zu diesem Durchschnitt zurückkehrt. Das kann man z. B. auch feststellen bei der Leistung eines Sportlers. Die ist ja manchmal über mehrere Spiele deutlich besser oder auch deutlich schlechter als üblich, je nach aktueller Form. Oder ein Klassiker in der Statistik ist der Münzwurf. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kopf oder Zahl bei einem Wurf rauskommt ist genau 50% und trotzdem kann es sein, dass ich 10 mal hintereinander Kopf werfe. Aber Spätestens nach dem 1000sten Wurf, werde ich am Ende doch auf das erwartete Ergebnis von knapp 50-50 aus Kopf und Zahl kommen. Und so ist es auch mit den Aktienrenditen, die auch um ihren langfristigen Durchschnittswert schwanken, auch wenn sich die Wissenschaft in diesem Punkt nicht ganz einig ist, ob Renditen aus der Vergangenheit einen messbaren Einfluss auf zukünftige Renditen haben oder ob es reiner Random Walk, also ein reiner Zufallsprozess ist. Eine vielzitierte wissenschaftliche Arbeit zu dem Thema ist „Mean reversion in stock prices: Evidence and implications, von James Poterba und Lawrence Summers, erschienen Journal of financial economics, im Jahr 1988. Und die beiden haben die Renditen am US Aktienmarkt von 1926-1985 untersucht, aber auch Renditen von Einzelwerten von vor 1926 und von 17 ausländischen Aktienmärkten in anderen Zeiträumen und sind zu folgender Conclusion gekommen. Ich übersetze das hier mal frei:

„Die empirischen Ergebnisse in diesem Paper legen nahe, dass Aktienmarktrenditen kurzfristig positive Serien Korrelationen und negative Korrelationen über längere Intervalle aufweisen. Während einzelne Datensätze keine grundsätzliche Zurückweisung der Random Walk Hypothese auf einem hohen Konfidenzniveau zulassen, sprechen verschiedene Datensätze zusammengenommen hingegen ziemlich stark gegen ihre Gültigkeit.“[1]

In Kurzform heißt das folgendes:

Kurzfristig besteht ein leicht positiver Zusammenhang. Soll heißen, wenn Aktien gerade steigen, dann steigen sie wahrscheinlich auch morgen noch, bzw. gleiches gilt für fallende Aktien. Damit ist der Momentumfaktor gemeint, den ich auch in meinen Portfolios als Faktorprämie nutze. Und langfristig besteht eine negative Autokorrelation, das heißt, wenn z. b. die letzten 10 Jahre besonders gut waren, besteht eine erhöhte wahrscheinlich, dass die nächsten 10 Jahre nicht so gut werden, und andersrum und das spricht für das Bestehen der Reversion to the Mean Regel bei Aktien.

Ich habe mich in meiner Untersuchung dafür interessiert, ob und wie diese Reversion to the Mean auch zwischen europäischen und amerikanischen Aktien auftritt. Also, ob die Differenz der Renditen auch um einen Mittelwert schwanken und das Ergebnis finde ich ziemlich spannend. Basis der Untersuchung waren für europäische Aktien der MSCI Europe in USD berechnet und der S&P500 für US Aktien, ebenfalls in USD gerechnet, und das für den Zeitraum von 01.01.1970 bis 31.01.2021.

 

Abb. 1: Indexierte Wertentwicklung des S&P500 USD und MSCI Europe USD, von 01.01.1970 bis 31.01.2021.
Quelle: Returnsweb, Dimensional, MSCI.

 

Schauen wir uns zuerst die langfristigen Renditen an. Die USA haben etwas besser abgeschnitten mit 10,7% pro Jahr, während europäische Aktien im gleichen Zeitraum 9,7% erbracht haben. Allerdings war es so, dass die europäischen Aktien über die Hälfte der Zeit sogar vorne waren und es gab auch mehrere Wechsel an der Spitze. Aber es waren speziell die letzten zehn Jahre, die dann den großen Unterschied gemacht haben und die waren für die USA deutlich besser. US Aktien haben pro Jahr 13,0% erzielt, während es in Europa nur zu 3,8% pro Jahr gereicht hat. Das macht über 10 Jahre fast 200% kumulierten Renditeunterschied, was natürlich extrem ist. Als nächstes habe ich mir die monatlich rollierenden Renditen angeschaut und die Autokorrelationen gemessen. Also, ob es einen messbaren Zusammenhang gibt, zwischen früheren und zukünftigen Renditen und zwar für die Zeiträume 3, 5 und 10 Jahre. Und ich habe das nicht einzeln für amerikanische und europäische Aktien gemacht, sondern für die Differenz aus den beiden Renditen, in der Reihenfolge S&P500 abzüglich MSCI Europe in USD. Und diese Differenz lässt sich wie folgt beschreiben:

Tab. 1: Rollierende Renditedifferenz (S&P500 USD – MSCI Europe USD), 01.01.1970-31.01.2021, verschiedene Zeiträume.


Quelle: Returnsweb, Dimensional, MSCI, eigene Berechnungen.

Ihr Durchschnitt beträgt über alle Zeiträume hinweg zwischen 0,4 und 0,6%, also sehr konstant und relativ niedrig. Die Schwankungen um diesen Mittelwert liegen bei 3 Jahren zwischen -16% und +14% pro Jahr und bei 10 Jahren nur noch zwischen +9 und -6%. Was so viel bedeutet, dass der Gleichlauf zwischen amerikanischen und europäischen Aktien über längere Zeiträume deutlich zunimmt. Auch zeitlich gesehen sind die zwei Regionen sehr ausgeglichen über die 10-jährigen Zeiträume war genau 50:50 verteilt, ob die Rendite zugunsten von Europa oder den USA ausgefallen ist. Und am Spannesten ist aber eigentlich der Verlauf des Renditeunterschieds. Damit das ganze anschaulicher wird, habe ich diese ganzen Grafiken in den Blogbeitrag zur heutigen Folge eingebaut, den Link findet ihr in der Beschreibung. Ich versuche es trotzdem mal zu beschreiben.

 

Abb. 2: Rollierende 10-Jahresrenditen des S&P500 USD und MSCI Europe USD, 01.01.1970-31.01.2021.
Quelle: Returnsweb, Dimensional, MSCI, eigene Berechnungen.

Auf 10-Jahressicht war es so, dass dieser Indikator mal ein paar Jahre um ca. 5% über dem Durchschnitt lag und dann hat er sich wieder zu Nulllinie zurückbewegt und lag dann ein paar Jahre ca. 5% unter dem Durchschnitt. Das hat sich seit 1970 insgesamt 7-mal schon wiederholt. Und, dass hier tatsächlich ein messbarer Zusammenhang besteht, das bestätigt die Autokorrelation. Ein Wert von +1 oder – 1 bedeutet vollständiger Zusammenhang, und ein Wert von 0 bedeutet keinerlei Zusammenhang. Auf Sicht von 3 und 5 Jahresanlagezeiträumen sind die Werte relativ schwach, mit -0,17 und -0,28. Aber bei 10 Jahren, da liegt der Zusammenhang bei -0,74. Die Nichtstatistiker mögen mir meine Euphorie verzeihen. In normalen Worten gesagt bedeutet das, dass die vergangen zehn Jahre mehr als 50% über die folgenden zehn Jahre aussagen, was sehr, sehr aussagekräftig ist. Allerdings funktioniert das eben nur auf sehr lange Sicht und nicht kurz- oder mittelfristig.

 

Abb. 3: Autokorrelation der monatlich rollierenden 10-Jahres-Renditedifferenz aus S&P500 USD und MSCI Europe USD, 01.01.1970-31.01.2021, verschiedene Zeiträume.

Quelle: Returnsweb, Dimensional, MSCI, eigene Berechnungen.

 

Wie schaut dieser Indikator im Moment aus?

Aktuell ist er auf einem neuen Alltimehigh. Zumindest war er es per Ende August 2020, da haben die USA um 9,9% jährlich mehr gebracht als die EU. Das letzte vergleichbare Hoch war im Oktober 2000 und da war der Wert nur 5,9%, was nur fast halb so stark ausgeprägt ist, wie heute. Das war kurz vor dem Platzen der letzten Technologieblase und auch damals ist die USA deutlich vorangelaufen. Und auch damals war es so, dass das Bild zehn Jahre später komplett umgedreht war und Europa plötzlich um 5% pro Jahr vorne lag. Und heute sind wir wieder zehn Jahre weiter und der Wert hat gedreht und liegt nur noch bei 7,6% und ich könnte mir schon vorstellen, dass der Peak von Ende August womöglich ein Wendepunkt gewesen sein könnte. Auch, wenn das überhaupt nichts über die Entwicklungen der nächsten zwei oder drei Jahre aussagen muss. Die nächste Frage ist:

Abb. 4: Rollierende Renditedifferenz (S&P500 USD – MSCI Europe USD), 01.01.1970-31.01.2021, verschiedene Zeiträume.
Quelle: Returnsweb, Dimensional, MSCI, eigene Berechnungen.

Kann man diesen Indikator auch in der Praxis einsetzen?

Dafür habe ich ein sehr simples Handelssystem getestet. Ich habe einfach angenommen, wenn der Indikator innerhalb der Grenze zwischen +4 und -4% liegt, dann ist er neutral und es wird zu 50% in den USA und 50% in Europa investiert. Wenn der Wert über oder unter die Schwelle von + oder -4 % geht, dann wird nur in die Region investiert, die die letzten 10 Jahre schlechter gelaufen ist, also in den Underdog. Und zwar so lange bis der Wert wieder an der Nulllinie angekommen ist, also Gleichstand war. Und ich möchte dazusagen, dass ich nicht empfehlen würde, so modular zu investieren. Es ist einfach nur ein theoretischer Test, ob man diesen Trend tatsächlich nutzen kann.

Und das Ergebnis war, dass dieses sehr einfache System zu einer jährlichen Mehrrendite von 0,8% pro Jahr geführt hat, ggü. einer konstanten 50:50 Variante. Bis 2017 wäre die Mehrrendite sogar 1,6% pro Jahr gewesen, was langfristig einen großen Unterschied ausmachen würde.

 

Was kann man aus dieser Erkenntnis für sein Portfolio mitnehmen?

Wie schon gesagt auf keinen Fall einen Trading-Gedanken. Aber schaut mal in eurem Portfolio nach wie hoch europäische Aktien derzeit gewichtet sind oder ob ihr überhaupt europäische Aktien habt und korrigiert diese Quote, wenn nötig ein bisschen.

Man kann natürlich auch so argumentieren, dass die Lage aktuell gegen europäische Aktien spricht. Wir haben kaum nennenswerte Technologiefirmen und unsere Unternehmen haben nicht das Gewinnwachstum, wie in den USA. Aber das ist nicht das Entscheidende. Wesentlich für die nächsten zehn Jahre sind v. a. die heutigen Bewertungen und die bereits eingepreisten Erwartung der Investoren. Und die sind bei Technologieunternehmen schon sehr hoch. Von europäischen Aktien wird hingegen aktuell nicht sehr viel erwartet, entsprechend niedrig sind die Bewertungen, wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis oder Kurs-Cashflow-Verhältnis. Und es ist viel leichter die niedrigen Erwartungen zu erfüllen oder zu übersteigen.

Damit sind wir am Ende der heutigen Folge. Die heutige Folge war sehr zahlenlastig. Damit das ganze leichter nachvollziehbar wird, habe ich die wichtigsten Grafiken in den Blogbeitrag zur heutigen Folge eingebaut, Den Link dazu findet ihr ihn der Beschreibung

Vielen Dank fürs zuhören und bis zur nächsten Folge

Euer Benedikt

 

[1] Poterba, James M., and Lawrence H. Summers. “Mean reversion in stock prices: Evidence and implications.” Journal of financial economics 22.1 (1988): 27-59. URL: https://www.nber.org/system/files/working_papers/w2343/w2343.pdf, abgerufen am 20.02.2021.

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